André Perler
1. Juli 2022
Seit Menschengedenken wird der Schweizer Wald bewirtschaftet – während Jahrhunderten wurde er auch im grossen Stil gerodet. Die vielschichtige Beziehung zwischen Mensch und Wald ist in Orts- und Flurnamen verewigt.
Der Wald – seit Jahrhunderten von Menschen genutzt – wird mit der wachsenden Industrialisierung ab dem 19. Jahrhundert zunehmend zerstört. Bald treten Persönlichkeiten wie Paul Sarasin und später Bruno Manser hervor und machen sich für den Erhalt des Waldes stark. Die Ausstellung zeigt unser Verhältnis zum Wald auch durch Darstellungen in Literatur und Kunst: einst von den Romantikern als Rückzugsort von der Zivilisation überhöht, wird der Wald von Künstlerinnen und Künstlern heute im Zeichen des Klimawandels thematisiert.
Mit Werken von Guido Baselgia, Denise Bertschi, Julian Charrière, Franz Gertsch, Klaus Littmann, Ugo Rondinone, Shirana Shahbazi, Thomas Struth sowie Fotografien von James Barclay, Julien Coquentin, Erik Pauser, Mutang Urud, Alberto Venzago.
Ein Angebot für zuhause: Virtueller Rundgang durch die Ausstellung, mit weiterführenden Informationen, Videos vom Ausstellungsaufbau und Audioguide.
Rundgang beginnenDie Schulunterlagen mit Hintergrundtexten und Erkundungskarten dienen der vertiefenden Beschäftigung mit dem Ausstellungsthema.
Publiziert am 15. März 2022
Der Wald ist weltweit in Gefahr, und zugleich ist der Wald so etwas wie unsere Lebensversicherung. In diesem Spannungsfeld, sagen die Kuratorinnen Pascale Meyer und Regula Moser, ist die Idee zu dieser Ausstellung entstanden. Sie erzählen, was die Ausstellung zeigt, und was der Podcast vermitteln will, mit einem historischen, dokumentarischen, und auch kunsthistorischen Blick auf den Wald.
Die Wälder im Engadin befanden sich, wie an vielen Orten der Schweiz, zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einem desolaten Zustand: gerodet, heruntergewirtschaftet, ausgebeutet. Drei Männer, Steivan Bruneis, Johann Wilhelm Coaz und Paul Sarasin, nahmen sich des Problems an und schufen den Schweizerischen Nationalpark. Was die drei Männer auch noch motivierte, erzählen Hans Lozza, Medienverantwortlicher beim Schweizerischen Nationalpark, und Patrick Kupper, Historiker an der Universität Innsbruck.
Als die Künstlerin Anita Guidi 1945 gemeinsam mit dem Ingenieur Armin Caspar ins Gebiet des Rio Negro aufbrach, war der Amazonas schon nicht mehr intakt. Holzschlag, moderne Landwirtschaft und Kautschukgewinnung hinterliessen bereits tiefe Spuren. Aus ähnlichen Gründen dokumentieren im Gran Chaco, einige tausend Kilometer südlich, indigene Künstler das Leben im Wald. Mit Ursula Regehr und Alexander Brust, beide Kurator/innen am Museum der Kulturen in Basel.
Nicht immer, sagt Daniel Maynard, Ökologe am Crowtherlab der ETH Zürich, ist das Pflanzen von Bäumen sinnvoll, um etwas gegen die Klimaerwärmung zu tun. Weil ein Wald eben mehr ist als eine Ansammlung von Bäumen, er ist ein hoch komplexes Ökosystem. Und deshalb brauche es mehr, als nur Baumpflanzungen, sagt Daniel Maynard im Gespräch mit Christoph Keller, es brauche einen umfassenden Schutz der bestehenden Wälder. Damit diese sich wieder ausbreiten können.
Als Bruno Manser im Jahr 2000 im tiefen Wald von Sarawak verschollen blieb, verstummte eine gewichtige Stimme für den Regenwald. Denn Bruno Manser war mehr als ein Abenteurer, ein Dokumentalist, ein Mahner – er hat das Bewusstsein für die Bedeutung der Regenwälder in die Schweiz und nach Europa gebracht. Was Bruno Manser antrieb, wie er sich Gehör verschaffte, und warum er für manche auch eine Projektionsfläche war, erzählt Lukas Straumann, Geschäftsführer des Bruno Manser Fonds, im Gespräch mit Christoph Keller.
Lange war der Wald in der Kunst nur ein Dekor, ein Hintergrund. In der Romantik wird er zum geheimnisvollen, erhabenen Ort stilisiert. Und dies gerade weil er im Zuge der Industrialisierung ein zunehmend gefährdeter Ort war. Das gilt auch für die Literatur, die dem Wald grossen Raum gibt, gerade auch im Nature Writing, einer Kunstform zwischen wissenschaftlicher Dokumentation und Literatur. Wir unternehmen eine Zeitreise von Caspar David Friedrich zu Beuys und von Rousseau zu Walser, in Begleitung der Kuratorin und Kunsthistorikerin Regula Moser und des Literaturwissenschaftlers Stefan Zweifel.
Der Wald ist ein komplexer Organismus, und er ist schwierig zu verstehen. Aber wir können ihn erfahren, spüren, wir können teilhaben an der speziellen Waldatmosphäre, wenn wir in den Wald eintauchen – dann ahnen wir etwas von dem, was den Wald ausmacht. Die Forstwirtin Marlèn Gubsch kennt den Wald als Wissenschaftlerin, aber sie kennt ihn auch als Erlebnisort. Dann, wenn sie mit Menschen in den Wald geht, um darin zu baden, sagt sie im Gespräch mit Christoph Keller.
Dieses Buch beleuchtet den Wald als Natur- und Kulturraum aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln und bietet so eine neue, themenübergreifende Kulturgeschichte des Waldes. Expertinnen und Experten diverser Fachrichtungen zeichnen dessen Darstellung in bildender Kunst und Literatur nach, fragen nach der Bedeutung der Wälder für das Weltklima und erzählen die Geschichte der Nutzung und Bewirtschaftung des europäischen Waldes. Naturschützer, die sich im 19. Jahrhundert in der Schweiz für Nachhaltigkeit und den Schutz der Wälder engagiert haben, sind dabei ebenso zentral wie Aktivistinnen und Aktivisten des 20. Jahrhunderts, die sich international für die Erhaltung der tropischen Regenwälder und die Rechte der dort lebenden indigenen Bevölkerung einsetzten.
Mit Beiträgen von Alexander Brust, Noëmi Crain Merz, Monika Gisler, Erwin Koch, Stephan Kunz, Hans Lozza, Daniel Maynard, Pascale Meyer, Ursula und Verena Regehr, Andreas Spillmann, Isabel Zürcher, Stefan Zweifel
120 Seiten, 88 Abbildungen
978-3-03942-073-5 Deutsch
CHF 35
Herausgegeben vom Schweizerischen Nationalmuseum.
Ein Erinnerungsstück der Ausstellung erhalten Sie in der Boutique des Landesmuseums. Ausgewählte Produkte können Sie auch online kaufen.
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Zutritt ohne Ticket
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Genutzt. Zerstört. Geschützt. Die Beziehung der Menschen zum Wald hat sich in den letzten Jahrhunderten gewandelt. Dass dies sowohl die Kultur, wie auch die Kunst und Literatur beeinflusst hat, zeigt eine neue Ausstellung im Landesmuseum.
Der Wald – seit Jahrhunderten von Menschen genutzt – wird mit der wachsenden Industrialisierung ab dem 19. Jahrhundert zunehmend zerstört. Und mit ihm ein grosser Teil der Fauna und Flora. Doch nicht alle waren nur an den wirtschaftlichen Aspekten interessiert. Menschen wie der Naturforscher und spätere Mitbegründer des Schweizerischen Nationalparks, Paul Sarasin (1856-1929), machten sich für den Schutz der Natur stark und lancierten damit ein langsames Umdenken in einigen Teilen der Gesellschaft: Weg von der rücksichtslosen Ausbeutung hin zu einem langsam wachsenden Bewusstsein für einen schonenderen Umgang mit der Umwelt. Es sind die ersten Schritte Richtung Umweltschutz. Dass diese «Reise» nicht an der Landesgrenze haltmachen kann, zeigt beispielsweise das totale Engagement von Bruno Manser, der in den 1980er-Jahren nach Borneo aufbrach, um gemeinsam mit den dort ansässigen nomadischen Waldbewohnerinnen und -bewohnern gegen die Abholzung des Regenwaldes zu kämpfen. Ein Engagement, das Manser schliesslich mit seinem Leben bezahlt hat. In seinen reich bebilderten Tagebüchern, welche in der Ausstellung zu sehen sind, hielt er seine Eindrücke zeichnerisch und sprachlich fest.
Die seit Jahrhunderten andauernde Beziehung des Menschen zum Wald spiegelt sich auch in zahlreichen Kunst- und Literaturwerken wider. Und diese Beziehung stand in einem stetigen Wandel. Während Künstler und Literaten den Wald in der Romantik als Rückzugsort und Quelle der Ruhe mitten in einer zunehmend beschleunigten Welt sahen, wurde er in der klassischen Moderne zur reinsten Form von Ästhetik und Erhabenheit hochstilisiert.
Im 20. Jahrhundert entwickelte sich das Thema Wald in der Kunst immer mehr zu einem politischen Statement gegen die fortschreitende Umweltzerstörung. Dieser Grundgedanke ist bis heute geblieben, auch wenn die Formen und Mittel jetzt anders sind als noch vor einigen Jahrzehnten. Gleichzeitig sind die Vorstellungen aus der Romantik präsenter denn je, den Wald wieder als Ort der Besinnlichkeit, der Ruhe und Entspannung zu sehen. Nach wie vor leben wir in einer beschleunigten Welt, in der immer mehr Menschen einen Rückzugsort suchen und brauchen.
Den Schlusspunkt der Ausstellung bildet die Baumskulptur von Ugo Rondinone – mehr als ein Menetekel für den Klimawandel. Auch andere Positionen von zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern wie Guido Baselgia, Denise Bertschi, Julian Charrière, Franz Gertsch, Shirana Shahbazi oder Thomas Struth zeigen, dass wir den Wald heute als ein grosses Ganzes erleben können. Ausserdem kann man im Innenhof des Landesmuseums in die «Arena für den Baum» sitzen und über die Zukunft des Waldes sinnieren. Im Zentrum des Werks von Künstler Klaus Littmann steht ein kahler Baum, der die Betrachtenden zum Nachdenken über ihr Verhältnis zum Wald anregt.
Mit freundlicher Unterstützung des Schweizerischen Nationalparks und der Kulturstiftung Basel H. Geiger «Arena für einen Baum».