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begehrt. umsorgt. gemartert. Körper im Mittelalter

Landesmuseum Zürich | 15.3.2024 - 14.7.2024
publiziert am 13.3.2024

Menschliche Körper waren im Mittelalter Schauplatz von Widersprüchen: Sie wurden glorifiziert, unterdrückt, umsorgt und bestraft. Mit zahlreichen Leihgaben aus dem In- und Ausland wirft die neue Wechselausstellung im Landesmuseum einen kulturhistorischen Blick auf den Körper im Mittelalter.

In Zeiten von Selbstoptimierung, Schönheitsidealen und Selfies könnte man meinen, dass die Obsession mit dem menschlichen Körper noch nie so intensiv war wie heute. Doch schon im Mittelalter spielte der Körper und sein Abbild eine zentrale Rolle. Im damals mehrheitlich christlich geprägten Europa in der Zeit vom 10. bis ins ausgehende 15. Jahrhundert wurde der Körper begehrt, gepflegt und glorifiziert aber auch gemartert, versehrt und geschunden.

Das Bild des menschlichen Körpers wurde im Mittelalter vor allem durch die Kirche bestimmt. Den Körper betrachtete sie einerseits als Sitz der Begierde und damit der Sünde. Vielschichtig sind die Darstellungen von Begehren mit moralisierendem Hintergrund. Andererseits standen im Zentrum der christlichen Kunst der gefolterte Körper Jesu am Kreuz und das Ideal der jungfräulichen Maria, ergänzt mit Darstellungen der auf verschiedene Arten hingerichteten Märtyrerinnen und Märtyrer. Ihre Körperteile wurden als Reliquien verehrt und versprachen den Gläubigen Heilung, eine gute Ernte oder gar eine Schwangerschaft.

Auch im weltlichen Alltag beschäftigten sich die Menschen des Mittelalters nicht minder mit dem Körper. Frauen und Männer der höheren Stände besassen reich verzierte Handspiegel, puderten sich die Haut, färbten die Haare und hüllten sich in feine Düfte. Auch sportliche Betätigung war beliebt und galt als gesundheitsfördernd. In der Stadt und auf dem Land vergnügten sich Männer wie Frauen an Festtagen mit Laufen, Springen und Tanz. Besonders beliebt waren Turniere, Schiesswettkämpfe und Ballspiele.

Die Körper der mittelalterlichen Unterschicht waren jedoch aufgrund der harten Lebensbedingungen mehrheitlich stark beansprucht. Schwere körperliche Arbeit, schlechte Ernährung und Krankheiten hatten gravierende gesundheitliche Folgen. Es mangelte nicht an medizinischen Ratgebern für einen gesunden Körper. Zentral und weit verbreitet war die Vier-Säfte-Lehre, bei welcher der Körper in einem harmonischen Ganzen gehalten werden sollte. Für einen gesunden Ausgleich der Körpersäfte halfen Baden, Schröpfen und der Aderlass. Während die Elite sich von ausgebildeten Ärztinnen und Ärzten behandeln lassen konnte, standen der Mehrheit Laien- und Wundärzte zur Verfügung. Auch etablierte sich ein soziales Gesundheitssystem. Mittellose und randständige Kranke wurden in den von Klöstern eingerichteten Spitälern kostenlos umsorgt und verpflegt.

Am Ende wartete auf alle der Tod. Tote Körper waren im Mittelalter alltäglich und omnipräsent. In der Hoffnung auf Auferstehung pflegte man schon zu Lebzeiten Totenrituale und betete für Verstorbene. Wie wichtig die Idee des Körpers im Mittelalter war, zeigt der christliche Glaube daran, dass die Menschen am Tag ihrer Auferstehung ihren Körper unversehrt und vollkommen in einem Alter von etwa 30 Jahren, dem Todesalter von Jesus, wiedererlangen würden.

Zahlreiche Leihgaben aus dem In- und Ausland, darunter Gemälde, Grafiken, Bücher, Skulpturen und kunstvolle Alltagsobjekte, erlauben in der Ausstellung einen kulturhistorischen Blick auf den Körper im Mittelalter. Medienstationen und Interviews laden zur Vertiefung des Themas ein und geben Impulse, auch unser heutiges Bild des Körpers zu reflektieren.

Bilder

Der astronomische Mensch

Von Sternzeichen umgeben stehen zwei nackte, geschlechtslose Figuren Rücken an Rücken. Den jeweiligen Körperteilen sind die zwölf Sternzeichen zugeordnet. Das Wohlbefinden des Menschen steht unter dem Einfluss der Sterne, Jahreszeiten und Mondphasen. Les Très Riches Heures du Duc de Berry, Paris/Bourges, 1410–1485, Faksimile

Cliché RMN © Bibliothèque et Archives du Château de Chantilly

Gotischer Schuh

Nach der Mitte des 14. Jahrhunderts kommen Schnabelschuhe aus feinem Leder in Mode. Die höfische Ritter- und Minnekultur bildet den Nährboden für diese modische Übertreibung. Sie werden ein Standeszeichen der höfischen Gesellschaft. Schnabelschuh gotischer Art, seitlich geschnürt, Einzelschuh, um 1420, Schloss Issogne Norditalien, Leder

Bally Schuhmuseum, Schönenwerd

Tanz und Lust

Zu schriller Musik verrenken vier Männer sinnlich-ekstatisch ihre Körper vor den Augen der Schaulustigen. Die junge Frau hält einen Ring als Preis empor. Das Werben ist anstössig und der Narr unter ihnen Sinnbild für unanständiges sexuelles Treiben. Der Moriskentanz, Israhel van Meckenem, letztes Drittel 15. Jahrhundert, Kupferstich

ALBERTINA, Wien

Fecht- und Kampfübungen

Die Federzeichnungen zeigen verschiedene Kampfarten und -techniken des Spätmittelalters und orientieren sich an anderen Fechtbüchern. Dargestellt sind Ringkämpfe, der Gerichtskampf mit Streitkolben und Schild sowie Nahkämpfe mit Schwert oder Degen. Solothurner Fechtbuch, nach Paulus Kal und Hans Talhoffer, 1505–1515, kolorierte Federzeichnungen auf Papier

Zentralbibliothek Solothurn

Almosenspende

Durch Krankheit gezeichnete Bettelnde sind in mittelalterlichen Städten allgegenwärtig. Almosen zu geben, bot eine tugendhafte Möglichkeit, seine Sünden zu begleichen. Der hl. Oswald lebt die christliche Tugend der Barmherzigkeit vor. Almosenspende des hl. Oswald, Meister der Oswaldlegende, um 1480/1485, Malerei auf Tannenholz

Belvedere, Wien

Felix, Regula und Exuperantius

Die siebenteilige Serie zeigt Episoden aus der Legende der Zürcher Stadtheiligen Felix, Regula und Exuperantius. Die Geschwister und ihr Freund wurden aufgrund ihres christlichen Glaubens verfolgt, in Zürich festgenommen, gefoltert und enthauptet. Szenen der Legende der Heiligen Felix, Regula und Exuperantius, um 1490, Wien/Kassa, Tempera und Gold auf Holz

Keresztény Múzeum, Esztergom, Photo: Attila Mudrák

Von Pfeilen durchbohrt

Sebastian wurde wegen Verrats und seinem christlichen Glauben von Bogenschützen mit zahlreichen Pfeilen durchbohrt. Gemäss Legende überlebte er diese Tortur. Seit der Pestepidemie in Rom 680 ist er ein Pestheiliger, da Pfeile als Symbol von Krankheiten gelten. Hl. Sebastian, vielleicht Süddeutschland, 1490–1500, angeblich aus Graubünden, Lindenholz

Schweizerisches Nationalmuseum

Wild

Ein «Wildmann» mit zotteligen Haaren führt einen zahmen Hirsch an der Leine, ein wilder Schafbock springt davon. Mit dem Leben in der Natur bilden «Wildleute» eine Gegenwelt zu den strikten Idealen und Moralvorstellungen der höfischen Gesellschaft. Wirkteppich mit Wildmann, Hirsch und Widder, Basel, um 1480, Wollwirkerei

Schweizerisches Nationalmuseum

Kur und Vergnügen

Im Heilbad vergnügen sich Jung und Alt und tauschen bei Speis, Trank und Musik Intimitäten aus. Wegen dem «Sittenzerfall» in den Bädern und der Verbreitung der Syphilis werden zu Beginn des 16. Jahrhunderts gemischte Badehäuser geschlossen. Bad zu Leuk (?), Hans Bock d.Ä., um 1597, Öl auf Leinwand

Kunstmuseum Basel

Die Haarwäsche

Die hl. Verena ist ein Vorbild für die Barmherzigkeit. Als Bürgersfrau gekleidet, wäscht sie die Haare eines Pestkranken, der als solcher mit der Klapper am Gurt erkennbar ist. In der oberen Szene spendet Verena Bedürftigen eine Mahlzeit. Die hl. Verena wäscht einem Pestkranken die Haare, ca. 1525, Tempera auf Holz

Landesmuseum Württemberg, Stuttgart, Hendrik Zwietasch

«Hofnarren»

In der Bankettszene im Vordergrund steht eine als Narr verkleidete kleinwüchsige Person mit einem Affen. Kleinwüchsige in der Rolle als «Hofnarren» waren für die Unterhaltung der Adeligen zuständig. Obschon sie zum Hof gehörten, waren sie Aussenseiter. Hofbankett des König Aietes mit Jason und Medea, Bernardino Orsi da Collecchio (zugeschrieben), Bologna, um 1480–1490, Öl auf Holz

Musée des Arts décoratifs, Paris, © Les Arts Décoratifs/Jean Tholance

Glaube und Krankheit

Dem Alten Testament zufolge verliert Hiob als reicher Mann alles und erkrankt an eiternden Geschwüren. Kraft seines Glaubens überlebte er die Krankheit. Er wird zum Sinnbild für die Überwindung von unverschuldetem Leiden durch Krankheiten. Hiob auf dem Krankenlager, Pseudo Bartolomeo di Giovanni, 1475–1500, Pappelholz

Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie / Jörg P. Anders

Schöner Adel

Statt Ritterrüstung modische Kleidung: enge Beinkleider mit Schamkapsel und lang gezogene Schnabelschuhe. Die Frau trägt die Zöpfchenfrisur der Unverheirateten und ein langes, hochgegürtetes Kleid. Das anmutige Paar spiegelt damalige Schönheitsideale. Der Ritter und seine Schöne, Israhel van Meckenem, letztes Drittel 15. Jahrhundert, Kupferstich

ALBERTINA, Wien

Spiegel mit Liebespaar

Die Szenen zeigen das Liebeswerben eines Jünglings mit zaghaften Annäherungen und Berührungen. Der Höhepunkt ist die Bekränzung durch die Frau. Spiegel aus Elfenbein sind im 13. und 14. Jahrhundert beliebte Geschenke an höfische Damen. Spiegelkapsel mit Minneszenen, Paris, 1. Drittel 14. Jh., Elfenbein

Staatliche Museen zu Berlin, Kunstgewerbemuseum / Stefan Büchner

Der schöne Tod

Im ausgehenden Mittelalter beginnt die Tradition der Totenmasken. Damit erfährt die Darstellung des Todes eine neue Realität. Das letzte Porträt der verstorbenen Jeanne de France, Königin von Frankreich und Äbtissin von Bourges, ist für ewig schön und würdig. Totenmaske von Jeanne de France (1464–1505), 1505, Gips

Paris, Musée du Louvre, Département des Objets d’Art

begehrt. umsorgt. gemartert. Körper im Mittelalter

Blick in die Ausstellung

© Schweizerisches Nationalmuseum

begehrt. umsorgt. gemartert. Körper im Mittelalter

Blick in die Ausstellung

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begehrt. umsorgt. gemartert. Körper im Mittelalter

Blick in die Ausstellung

© Schweizerisches Nationalmuseum

begehrt. umsorgt. gemartert. Körper im Mittelalter

Blick in die Ausstellung

© Schweizerisches Nationalmuseum

begehrt. umsorgt. gemartert. Körper im Mittelalter

Blick in die Ausstellung

© Schweizerisches Nationalmuseum

begehrt. umsorgt. gemartert. Körper im Mittelalter

Keyvisual der Ausstellung

© Schweizerisches Nationalmuseum

Pressekontakt Landesmuseum Zürich

+41 44 218 65 64 medien@nationalmuseum.ch